Still Home: Ukrainische Filme aus den besetzten Gebieten
Still Home: Ukrainische Filme aus den besetzten Gebieten
Das Netzwerk Filmkultur NRW präsentiert von Dezember 2022 bis Ende 2023 an verschiedenen Abspielorten in Nordrhein-Westfalen die ukrainische Filmreihe„Still home: Ukrainian films from occupied territories“, kuratiert von Anna Melikova und Victoria Leshchenko.
Begleitet werden die Vorführungen mit Filmgesprächen und Netzwerkveranstaltungen für ukrainische Filmschaffende. In Kooperation mit dem Filmbüro NW vermitteln wir den Filmemacher:innen außerdem individuelle Beratungsmöglichkeiten.
2014 besetzte Russland die Halbinsel Krim und begann einen Krieg in der Ostukraine. Schon damals wurde die These von der gemeinsamen reichen Geschichte der beiden „brüderlichen Nationen“ von Wladimir Putin wiederholt verkündet und dann in der russischen Propaganda multipliziert. Dies wurde später in einem Artikel des russischen Präsidenten bestätigt, der 2021 veröffentlicht wurde. Die Hauptbotschaft dieses Artikels war, dass die Ukraine keine eigene Kultur und Geschichte hat, dass ihre Unabhängigkeit „Russland beraubt“. Die gesamte Geschichte der ukrainischen Filmkunst und Kultur widerspricht jedoch dieser These.
Die russische Propaganda spricht die Idee jedoch systematisch an: Es sei notwendig, die „brüderliche“ russischsprachige Bevölkerung in der Ukraine zu retten, indem die Bevölkerung des Landes im Allgemeinen „entnazifiziert“ werden soll. Seit 2014 werden diese Forderungen vor allem im Zusammenhang mit dem Donbass und der Krim laut. Auf sie konzentrierte sich Putin in seiner Rede am 21. Februar 2022, drei Tage vor der groß angelegten Invasion. Seitdem hat sich die russische Armee, zum Äußersten entschlossen, an die Umsetzung des „Entnazifizierungsplans“ gemacht. Die russischsprachige Bevölkerung, die in der Tat zum Ziel von Kriegsverbrechen und Völkermord wurde, wechselte umso eifriger zur ukrainischen Sprache und betonte ihre Zugehörigkeit zum ukrainischen Volk.
Der Widerstand der lokalen Bevölkerung gegen die Besatzer ist beeindruckend. Wenn Sie sich diese ukrainischen Gebiete und ihre Bevölkerung genau ansehen, haben sie ihre eigenen einzigartigen Namen und Erzählungen, die auch in der Filmsprache ausgedrückt werden.
Wir laden Sie ein, diese Menschen, Filme und Regisseur*innen kennenzulernen, die mit den von Russland besetzten Gebieten Donbas, Kherson und Krim verbunden sind.
Donbas (Teile der Regionen Donezk und Luhansk, Mariupol) ist eine Region, die seit der Sowjetunion im Kino aktiv vertreten ist. Seit den 1930er Jahren hat die Partei damit begonnen, den Donbas als Kinothema zu fördern. „Die Symphonie von Donbas“ war der erste hochkarätige Film aus dieser Reihe – davor stach diese Region im ukrainischen Kino in keiner Weise hervor. In den 1950er Jahren wurde dieser Fokus künstlich verstärkt. Die Idee, diese Region abzutrennen, geht auf jene Zeiten zurück.
Da in dieser Region seit fast neun Jahren Krieg herrscht, stammen die allermeisten Filme in unserem Programm von dort: BUTTERFLY VISION – ein Drama über die Rückkehr einer ukrainischen Luftaufklärerin aus der Gefangenschaft, die die Kraft findet, mit ihrem Trauma fertig zu werden (Regie: Maksym Nakonechnyi); TERYKONY – ein dokumentarisches Porträt von Teenagern, für die der Krieg bereits zum Alltag geworden ist (Regie: Taras Tomenko);
KLONDIKE – ein Drama darüber, wie die russische Aggression Familien und Leben auf ukrainischem Boden zerstört, wo die malaysische Boeing abgeschossen wurde (Regie: Maryna Er Horbach); THE EARTH IS BLUE, LIKE AN ORANGE – ein Dokumentarfilm über eine Donbass-Familie, die sich dank der Dreharbeiten eines eigenen Films nicht als Kriegsopfer empfinden will (Regie: Iryna Tsylyk); MARIUPOLIS – der poetische Film des litauischen Regisseurs Mantas Kvedaravičius, der ein ganz anderes Mariupol zeigt, als die europäischen Zuschauer:innen in diesem Jahr aus den Nachrichten gewohnt sind, zu sehen (Mantas wurde am 30. März 2022 nach den Dreharbeiten von „Mariupolis 2“ vom russischen Militär getötet).
Kherson hat einzigartige Darstellungen im Kino. Dies ist zum Beispiel die Heimat des ukrainischen Filmregisseurs Roman Bondarchuk, dessen Filme sowohl in der Ukraine als auch im Ausland weithin bekannt sind. Dies sind "Euromaidan", "Ukrainian Sheriffs" und das abendfüllende Debüt "Vulcano". Roman dreht seine Filme in Kherson über die Menschen in Kherson und bezieht sie als Schauspielerinnen und Heldinnen mit ein. Wir haben zwei seiner Werke ins Programm aufgenommen: den Dokumentarfilm DIXIELAND und das abendfüllende Spieldebüt VULCANO.
Die Krim, von der aus der Krieg begann, war neun Jahre lang die wichtigste Trophäe für Putin und für diejenigen, die ihn unterstützt haben. Der Mythos, dass Chruschtschow die Krim einfach der Ukraine geschenkt habe, wurde wiederholt ausgenutzt. Schon 2008, beim NATO-Gipfel, erklärte der russische Präsident, das war „unfair“. Dass es für Russland profitabel war, die Nachkriegskrim an die Ukraine, mit der die Halbinsel geographisch, wirtschaftlich und infrastrukturell verbunden war, zu übergeben und der Ukraine die Lösung des Problems der Wasserversorgung der Krim zu übertragen, wurde meist verschwiegen. Trotz der Tatsache, dass die russische Propaganda auf der Krim gute Ergebnisse erzielte, änderten viele Krimbewohnerinnen mit Beginn der großangelegten Invasion ihre Haltung und stellten fest, dass Russland ihr Heimatland Krim in eine eigene Militärbasis verwandelt hatte. PUSHING THE BOUNDARIES (Regie: Lesya Kordonet) erzählt am Beispiel ukrainischer Sportlerinnen, für die auf der Krim das einzige Trainingszentrum der Ukraine für die Paralympischen Spiele gebaut wurde, wie Russland fremdes Haus, fremde Hoffnungen und Ziele wegnahm und sich aneignete.
Filme aus diesem Programm werden 2023 in NRW gezeigt. Wir hoffen, dass das Konzept unseres Programms währenddessen an Relevanz verliert, in dem die besetzten ukrainischen Gebiete, um die es in diesen Filmen geht, befreit werden.
(Text: Anna Melikova, Victoria Leshchenko)
Unterstützt durch